Europaweite Ausschreibungen

Zuerst die Beispiele: So werden aus Ausschreibungen Artikel

Am 1. April 2008 veröffentlichte die Berliner Polizei eine Ausschreibung (PDF) über 1.000 abhörsichere Digital-Funkgeräte. Wegen formalen Fehlern bei der Ausschreibung hat ein unterlegener Bewerber das Ergebnis angefochten, die Polizei musste die Ausschreibung daher zurückziehen und das Verfahren neu starten. In der Berlin-Redaktion der taz schrieben wir darüber, dass sich der Einkauf der Geräte dadurch erheblich verzögerte.

Am 30. August veröffentlichten die Berliner Verkehrsbetriebe eine Ausschreibung (PDF) über "selbstklebende Folien aus Kunststoff". Die grün getönten Folien sollen auf Fenster der Fahrzeuge geklebt werden, um dort die Folgen von mutwilligen Beschädigungen durch Fahrgäste ("Scratching") zu verringern. Daraus machten wir eine Kurzmeldung. Die Berliner Zeitung griff das Thema später auf und erweiterte es zu einem Lokal-Aufmacher.

Im Februar 2008 fasste das Landesparlament einen Beschluss (PDF), laut dem die Landesregierung und landeseigene Unternehmen ab Juni bei allen Ausschreibungen auch ökologische Zuschlagskriterien zu berücksichtigen hat. Anfang 2009 schauten wir nach, wie dieser Beschluss umgesetzt wird - und wälzten uns dafür durch alle 109 Ausschreibungen, die die einzelnen Senatsverwaltungen zwischen Juni und Dezember veröffentlicht hatten (Übersicht als xls.-Datei). Das Ergebnis: Die Vorgaben wurden kein einziges Mal eingehalten. Wir schrieben am 15. Januar: "Senat schreibt die Umwelt ab". In einem zweiten Text ging es darum, wie solche ökologischen Zuschlagskriterien bei einer Strom-Ausschreibung aussehen können und dass Finanzsenator Thilo Sarrazin beim Einkauf von Strom für die Verwaltung keine solchen Öko-Vorgaben machen will - damit hat Ökostrom schlechte Chancen. 19. Januar: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit fordert genau wie CDU, BUND und die Klima-Allianz, dass Sarrazin den Beschluss des Abgeordnetenhauses berücksichtigen solle. Doch der bleibt hart. 21. Januar: Sarrazin lenkt für die Stromausschreibung ein - der Beschluss wird damit erstmals eingehalten. 9. Februar: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dagegen, die für die allermeisten Ausschreibungen zuständig ist, will auch weiterhin keine ökologischen Zuschlagskriterien: Der Beschluss des Landesparlament sei lediglich eine unverbindliche Vorgabe, der Senat müsse sich nur an formale Gesetze halten. Wir kommentieren, dass das Parlament seine Selbstachtung verliert, wenn es sich das gefallen lässt. 10. Februar: Die Umweltsenatorin fordert die Stadtentwicklungssenatorin auf, künftig bei ihren Ausschreibungen ökologische Zuschlagskriterien vorzugeben. 6. April: Die landeseigene Stadtreinigung BSR und die landeseigenen Kliniken Vivantes halten sich ebenfalls nicht an die Vorgaben. Kommentar: Da sollten sie sich besser Finanzsenator Sarrazin zum Vorbild nehmen. 23. April: Das Ergebnis der Strom-Ausschreibung ist da: Dank der Öko-Kriterien ist es reiner Ökostrom von Vattenfall geworden. 16. Mai: Die Umweltsenatorin, die im Aufsichtsrat der Stadtreinigung BSR sitzt, will sich dort nicht dafür einsetzen, dass das Unternehmen künftig ökologische Zuschlagskriterien vorgibt: Der Aufsichtsrat sei nicht befugt, derart in das operative Handeln der Geschäftsführung einzugreifen. Außerdem stellt sich heraus: Vattenfall liefert dem Land Berlin keinen Ökostrom im engeren Sinne, sondern seinen normalen Strommix, der allerdings mit EECS-Zertifikaten grün angestrichen wird. Kritiker sprechen von Etikettenschwindel.

Anfang Januar 2009 fragten wir uns in der Berlin-Redaktion der taz, wie das Land Berlin eigentlich seine Pakete transportiert. Kurz zuvor hatten zwei Angestellte eines Zustelldienstes ein Paket mit tausenden Kreditkartendaten an die Frankfurter Rundschau geschickt statt an die Landesbank Berlin. Der Skandal war groß und ganz Deutschland fragte sich, warum solch sensible Daten nicht sicherer transportiert werden. Das Landesverwaltungsamt Berlin antwortete recht einsilbig: Die Pakete würden "sicher" transportiert, alles laufe sehr gut. Wir schauten daher bei den Ausschreibungen nach. Das Land hatte Paketzustellung am 12. April 2007 ausgeschrieben (PDF) und das Ergebnis der Ausschreibung am 4. Oktober 2007 veröffentlicht (PDF). Daraus ergab sich, dass die Pakete von der Menütaxi GmbH zugestellt werden und die dafür 1,99 Euro pro Paket erhalten. Bei dem Unternehmen wollte sich niemand mit uns darüber unterhalten, wie gut die Mitarbeiter qualifiziert sind und wie viel Geld sie verdienen, aber im Geschäftsbericht (PDF) fanden wir die Information, dass die meisten Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis arbeiten. Unser Artikel erschien unter dem Titel "Akten auf Rädern".

Der Wert von Ausschreibungen für Journalisten

Der große Vorteil der Ausschreibungen ist, dass gesetzlich festgelegt ist, wann und in welcher Form Behörden eine Ausschreibung veröffentlichen müssen. Ausschreibungen sind daher eine gute Ergänzung zu Pressemitteilungen, weil man darin auch über Vorgänge erfährt, über die eine Behörde nie von selbst eine Pressemitteilung herausgeben würde. Bei einer Reihe von Ausschreibungen wird auch nach dem Abschluss des Verfahrens veröffentlicht, wer den Auftrag bekommen hat und für wie viel Geld der Auftrag vergeben wurde. Und nicht nur Behörden müssen ihre Aufträge ausschreiben, sondern auch andere öffentliche Auftraggeber wie gesetzliche Krankenkassen, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und Unternehmen in Staatsbesitz (Wohnungsbaugesellschaften, Deutsche Bahn, Vattenfall).

Tenders Electronic Daily: So können Journalisten Ausschreibungen finden

Großes Lob an die EU: Die Ausschreibungen werden in einer Form veröffentlicht, die das systematische Durchsuchen besonders leicht macht und keine Wünsche offen lässt. Das Portal für die europaweiten Ausschreibungen ist http://ted.europa.eu/. Dort kann man sich mit einem Benutzernamen und einer Mailadresse kostenlos registrieren. Nachdem das Benutzerkonto mit einer Mail freigeschaltet wurde, kann man sich einloggen. Zur Suche nehme ich immer die "Erweiterte Suche". Und so sieht das Suchfeld aus:

Wichtig ist die Einstellung des Suchbereichs. Eine Suche unter "Letzte Ausgabe" umfasst lediglich die Ausschreibungen eines Tages, es empfiehlt sich daher die Suche im Archiv. Die Rubriken, die ich für die Suche meistens nutze, sind Ort (z.B. Berlin), Name des Auftraggebers (z.B. Vattenfall) oder Volltext (z.B. Gutachten). Auf der folgenden Seite werden die Ergebnisse angezeigt und man kann auch eine Suche speichern:

Um die Suche zu speichern, kann man im nächsten Schritt ein Namen für das Suchprofil eingeben. In der Liste der Suchprofile kann man dann einstellen, wie man über neue Ergebnisse informiert werden möchte:

"News Alert" bedeutet dabei, dass man per E-Mail benachrichtigt wird, sobald ein neuer Treffer vorliegt. Zudem kann man einstellen, wie schnell man dann benachrichtigt wird - täglich, wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich. Man kann seine individuellen Suchergebnisse auch per RSS abonnieren.

Ich selbst habe mir ein Suchprofil eingestellt, das relativ breit definiert ist: Ich bekomme alle Aufträge, die Berlin betreffen. Das umfasst die Aufträge von Bezirken, Landes- und Bundesbehörden und es sind meist so zehn bis zwanzig Ausschreibungen pro Tag. Ich scanne jeweils nur ganz kurz über Auftraggeber und Kurzbeschreibung und entscheide dann, ob ich weiterlese. Meistens lese ich nicht weiter und ich bin dann nach nicht einmal einer Minute mit allen Ausschreibungen durch. Die meisten Ausschreibungen sind für den journalistischen Gebrauch irrelevant, es geht da etwa um die Renovierung von Turnhallen, um den Einkauf von Druckern für ein Bezirksamt oder den Kauf von irgendwelchen technischen Geräten für wissenschaftliche Forschungseinrichtungen. Manche Bauprojekte werden auch in zig Teilaufträge aufgesplittet, die dann über Wochen einzeln veröffentlicht werden - so etwa beim Bau des NS-Dokumentationszentrums "Topographie des Terrors" oder beim Wiederaufbau des Ostflügels des Berliner Museums für Naturkunde.

Man darf als Journalist, der dieses Instrument nutzen will, also keine Scheu davor haben, sich durch eine große Menge von ziemlich trocken geschriebenen Ausschreibungstexten zu arbeiten und dabei auch ziemlich viel umsonst zu lesen. Dafür winken dann auch einige Perlen - also Vorgänge von öffentlichem Interesse, auf die man anders nicht aufmerksam geworden wäre und auf die einen die Behörde auch selbst nicht hingewiesen hätte. Und davon gibt es mehr als genug: Vielen Sachen können wir nicht nachgehen, einfach weil in der tagesaktuellen Produktion die Zeit dafür fehlt. Dann konzentrieren wir uns auf das, was uns interessiert - und andere Themen, die vieleicht genauso relevant wären, fallen hinten runter. Ich bin davon überzeugt: Die Ausschreibungen bieten so viel Stoff - es kann gar nicht genug Journalisten geben, die da ein Auge drauf haben.